Eine Reportage über Rammstein-Ambitionen, mindestens ein Kriegsschiff, freien Eintritt, umgenutzte Industrieflächen und drei scheinbar unumstößliche Festivalregeln: Die Festivals „Elbjazz“ und „48h Wilhelmsburg“ fanden in diesem Jahr in Hamburg am selben Wochenende statt.

Zuerst sehe ich die schwarze Rauchsäule. Sie steigt irgendwo in der Hafencity auf. Dann rieche ich sie, als der Wind umschlägt. Und schließlich, kurz vor dem Festivalgelände, schlägt mein Handy Alarm. Es kommt dann eine Entwarnung: Direkte Gefahr besteht nicht. Irgendwo auf der anderen Elbseite hat es auf einer Baustelle gebrannt, lese ich später. Am Eingang zum „Elbjazz“-Festival ist der Rauch Gesprächsthema. Und dann endlich bin ich durch die Kontrollen durch und auf dem Weg zu meinem ersten Konzert.

Ein Mitglied der Band Alogte Oho & The Sounds of Joy fordert das Publikum auf, doch mal zu tanzen oder sich zu bewegen. Danach folgt ein Reggaesong und einige hundert Menschen fangen an, langsam zu grooven. Vorher hat der Musiker das Publikum gelobt und für „beautiful“, also für „schön“, befunden. Danach musste er lachen.

Ich frage mich, wie das ist, als schwarzer Musiker oder als schwarze Musikerin vor einem fast ausschließlich weißen Publikum zu spielen. Eine Antwort finde ich nicht. Die Band ist stark vom so genannten Fafra-Gospel, einer Gospelströmung aus Ghana, beeinflusst. So jedenfalls steht es in einer Konzertankündigung, die ich gelesen habe. Max Weissenfeldt, ein deutscher Schlagzeuger, hat sie in Afrika entdeckt und Aufnahmen mit der Musikgruppe veröffentlicht.

Auf der zweiten, kleineren Bühne des "Elbjazz"-Festivals spielt am ersten Festivaltag die Band Alogte Oho & The Sounds of Joy. (Foto: Sebastian Grundke)
Auf der zweiten, kleineren Bühne des „Elbjazz“-Festivals spielt am ersten Festivaltag die Band Alogte Oho & The Sounds of Joy.

Die Sonne strahlt von einem fast wolkenlosen, hellblauen Himmel herab. Gestern war laut des Deutschen Wetterdienstes der erste sogenannte heiße Tag des Jahres. Das bedeutet: Die Temperatur stieg auf über dreißig Grad. An diesem Wochenende soll es so sommerlich bleiben.

Schatten gibt es auf dem Gelände fast nur auf den Bühnen. Für die Besucher sind Essenstände mit Sonnenschirmen oder ein Konzert in der einzigen vollständig überdachten und bestuhlten Location auf dem Areal, der so genannten Schiffbauhalle, die einzige Rettung. Vor dem Eingang der Halle läuft eine Videoübertragung der Konzerte auf einem Display für diejenigen, die keinen Platz im Inneren gefunden haben. Das war schon im vergangenen Jahr so, als ich das erste Mal auf dem Festival war: Wem es draußen zu heiß ist, der flieht in die Halle. Noch habe ich keinen Sonnenbrand.

Mit etwa zwanzigtausend Besuchern rechnen die „Elbjazz“-Veranstalter in diesem Jahr. Es ist schwer, das durchschnittliche Alter einer so großen Menschengruppe zu schätzen. Aber es ist wohl in Ordnung zu erwähnen, dass das Publikum älter wirkt als auf anderen Festivals und viele Besucher älter sind als vierzig, vielleicht sogar älter als fünfzig Jahre. Immer wieder sehe ich Menschen mit grauen Haaren. Und es sind zu wenige Familien mit Kindern da, um den Altersdurchschnitt zu senken.

Außerdem ist der Spaß teuer: Eine Eintrittskarte für zwei Tage kostet über einhundert Euro und eine Currywurst mit Pommes zehn Euro. Wer sich das leisten kann oder will, bekommt jedoch noch lange nicht immer eine der begehrten Karten für eines der Konzerte in der Elbphilharmonie, einer weiteren Spielstätte des Festivals. Die Plätze dort sind begrenzt. Geht es noch exklusiver?

Ein Mann an einem der Merchandising-Stände auf dem Open-Air-Gelände empfiehlt mir ein Album von den Nighthawks, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Es gibt sogar einen Live-Mitschnitt der Band von einem Konzert in Hamburg. Leider kann ich hier nicht mit EC-Karte zahlen. Später kaufe ich deshalb an einem Stand mit EC-Gerät zwei LPs von Alogte Oho & The Sounds of Joy und lasse sie bis zum Ende des Tages zurücklegen, damit ich die Platten nicht mit mir herumtragen muss. Das Konzert der Band gehörte zu jenen, die ich mir anschauen und anhören wollte. Ein Plattenhändler hatte mir den Auftritt empfohlen, als ich mit ihm über das anstehende Festival sprach.

Wenig ist auf diesem Festival wichtiger, als zu wissen, was genau man sehen will: Aus Unterhaltungen mit Gästen erfahre ich während der beiden Festivaltage, dass die eine oder andere Band hier für einen Geheimtipp oder für das einzig wahre Highlight des Festivals gehalten wird. Nur gehen die Meinungen dabei auseinander: Ist nun das Pianospiel von Michael Wollny die Karte wert? Oder doch der Auftritt des Unknown Mortal Orchestras?

Tatsächlich sind viele der Musiker, die hier auftreten, nicht gerade Superstars: Alle spielen virtuos und bewegen sich musikalisch auf sehr hohem Niveau, davon darf man ausgehen. Aber kaum eine Band ist abseits einer Spezialisten-Bubble berühmt. Die einzige Ausnahme ist die Hip-Hop-Formation Jazzkantine, die als Headliner am zweiten Tag ganz am Ende des Abends auftreten wird.

Doch genau das werde ich verpassen: Nachdem ich das Festivalgelände am heutigen Freitag, dem 9. Juni 2023, betreten hatte, trudelte auf meinem Smartphone eine SMS ein: Ich soll am zweiten Festivaltag in einer Schanzen-Bar als DJ auflegen. Damit fällt jedoch nicht nur das Jazzkantine-Konzert für mich flach. Auch mein Plan, mit einem Freund auf die Festival-Aftershow-Party zu gehen, hat sich damit erledigt.

Ich drehe ein bis zwei Runden über das Areal und entdecke in der Ferne Schiffe, die im Westen über den Zaun des Festivalgeländes hinausragen. Schon am Vortag, dem Donnerstag, hatte ich am Pförtnerhaus gefragt, ob ich beim Aufbau der Bühnen dabei sein und vielleicht fotografieren dürfe. Doch das ging nicht. Der Grund: Das Areal war zu diesem Zeitpunkt noch „militärisches Sperrgebiet“, wie es hieß. Heute wurde ich am Eingang darauf hingewiesen, dass Fotos von den Schiffen nicht gestattet sind. Jetzt weiß ich, welche gemeint waren.

Beim Anblick der grauen Schiffsaufbauten muss ich an den Krieg in der Ukraine denken. Eines der Schiffe soll eine Korvette sein, ein eher kleiner Kriegsschifftyp. Ob es etwas mit dem Konflikt dort zu tun hat, weiß ich nicht. Für einen Moment kommt mir alles seltsam vor: die laute Musik, der industrielle Charme des Ortes mitten im Hamburger Hafen, die vielen Menschen, das sommerliche Wetter, die Bierbuden. Ich schüttele das komische Gefühl ab. So ist das wohl, wenn ein Festival auf dem Gelände einer Werft stattfindet.

Später lese ich: Der NDR berichtete im Vorfeld des Festivals, dass sich Angehörige bestimmter Nationalitäten aufgrund von Sicherheitsbestimmungen nicht nachts und tagsüber nur teilweise auf dem Festivalgelände aufhalten dürfen, was demzufolge vor allem Konsequenzen für das Personal haben könnte. Besucher sind von der Regelung demnach eher nicht betroffen. Beim Elbjazz übernachten Gäste ohnehin weder auf dem Gelände, noch auf Zeltplätzen. Und um Mitternacht ist der Festivaltag vorbei, der erst am Nachmittag beginnt.

Ab sieben Uhr abends spielt auf der Hauptbühne Cécile McLorin Salvant. Die Songs sind sparsam instrumentiert. Ich höre den Kontrabass, das Klavier und die Percussions. Im Programmheft steht dazu etwas von Musiktheater und Varieté sowie ein wohl schwärmerisch gemeintes Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Wenn Salvants Stimme mühelos durch die Oktaven springt, reißt der Himmel auf“. Tatsächlich singt sie gerade von „Black Freedom“, so verstehe ich es jedenfalls, und die Wucht des Songs ist der großen Bühne und den vielen Zuhörern angemessen. Andere Songs klingen wie für einen viel kleineren Rahmen gemacht. Sie erinnern mich an Stücke von Jackie Ross oder Etta James.

Das Duo Domi & JD Beck spielen bei ihrem Auftritt auf der zweiten "Elbjazz"-Bühne im Jahr 2023 Live-Breakbeats jenseits des Jazzrahmens.
Das Duo Domi & JD Beck spielt bei seinem Auftritt auf der zweiten „Elbjazz“-Bühne Live-Breakbeats jenseits des Jazzrahmens.

Das Live-Breakbeat-Duo Domi & Jd Beck legt auf der zweiten Bühne ordentlich Tempo vor und fällt damit aus dem Jazz-Rahmen. Kurz nach Beginn des Konzerts sagt ein Bandmitglied in’s Mikro: „We’re gonna play some shit!“. Das heißt übersetzt so viel wie: „Wir spielen jetzt irgendeinen Scheiß!“. Die Ansage kommt beim Publikum sehr gut an. Es wird zurückgejohlt. Die erste wichtige Festivalregel hat sich bewahrheitet: Je später der Abend, desto ausgelassener die Gäste. Ich denke an die langen Schlangen vor den Bierständen und frage mich, ob außer mir im Publikum noch jemand nüchtern ist.

Auftritt von Jazz-Saxophonist Jakob Manz beim "Elbjazz"-Festival im Jahr 2023.
Preisträger und Wunderkind: Der Auftritt von Jazz-Saxophonist Jakob Manz beim „Elbjazz“-Festival fand in der überdachten „Schiffbauhalle“ statt.

Gerade noch schaffe ich es zum Konzert des Jakob Manz Projects in die überdachte Halle. Der Saxophonist gilt als Jazzwunderkind und ist Träger des Landesjazzpreises Baden-Württemberg. Manz läuft auf der Bühne hin und her und vor und zurück. Doch das Publikum sitzt, da ist wenig zu machen. Mir gefällt der Bass der Band besser: Der knurrt und grunzt wie bei James Brown oder Sly & The Family Stone.

Kurz vor dem Konzert von Dope Lemon auf der Hauptbühne bricht das Netz auf dem Festival zusammen: Weder bei mir, noch bei anderen Gästen, mit denen ich an einem Tisch sitze und mich unterhalte, funktioniert das mobile Internet. Ich hatte es erst bemerkt, weil die EC-Kartenlesegeräte am Kaffeestand streiken. An anderen Ständen, erzählt mir eine Besucherin, sei es teilweise ähnlich. Als ich es kurz darauf am Wurststand versuche, funktioniert alles wieder.

Nichts für Jazz-Puristen: Die Stoner-Rock-Band Dope Lemon bei ihrem Auftritt auf der Hauptbühne des „Elbjazz“-Festivals im Jahr 2023.

Dope Lemon rocken und ich muss spontan an Lynard Skynard denken. Das liegt auch an den Bühnenoutfits der Band, zu denen Hüte und Stiefel gehören. Auch eine zweite wichtige Festivalregel scheint zu gelten: Je später der Abend, desto mehr Show auf der Hauptbühne. Ich habe mich für Fotos nach vorne durchgedrängelt, ziehe mich aber bald wieder zurück. Später höre ich nur noch das Mundharmonikaspiel, das über das halbe Gelände des Festivals schallt.

Abends soll die Band Meute als Headliner spielen. Das Problem: In einem PR-Interview aus dem Jahr 2019 wurde Meute-Frontmann Thomas Burhorn mit den Worten zitiert, er wolle mit der Band so bekannt werden wie Rammstein. Der Online-Ankündigungstext für den Auftritt beim „Elbjazz“ griff die Aussage des Interviews auf. Und zwar mit der Einordnung, dass der Band dieses Vorhaben zuzutrauen sei. Angesichts des Sex-Skandals um Rammstein-Frontmann Till Lindemann wirkte die Angabe dann gar nicht mehr werbend: Lindemann werden Übergriffe auf weibliche Fans und Machtmissbrauch vorgeworfen.

Wenige Tage vor dem Festival verschwand das Zitat dann: Nicht nur in den Online-Ankündigungstexten des „Elbjazz“-Festivals, sondern auch im Interview mit Meute-Musiker Burhorn auf der Website des Coworking-Spaces „betahaus“ fehlten plötzlich die Aussagen zu den Rammstein-Ambitionen.

Auf meine Nachfrage räumte die „Elbjazz“-Presseabteilung zwar ein, dass die Textpassage ursprünglich im Programm gestanden habe und auf das genannte Interview zurückzuführen sei. Über die Gründe für die Streichung schwieg sie sich jedoch aus: „Dazu haben wir keine weiteren Anmerkungen“, hieß es.

Provokante Techno-Marching-Band: Meute beschließt den ersten Abend des "Elbjazz"-Festivals auf der Hauptbühne. (Foto: Sebastian Grundke)
Provokante Techno-Marching-Band: Meute beschließt den ersten Abend des „Elbjazz“-Festivals auf der Hauptbühne.

Meute wird heute auf der Hauptbühne live dann natürlich auch anders angekündigt: Vor dem Konzert verliest ein Ansager einen Text, der von der künstlichen Intelligenz Chat-GPT sein soll. Doch schließlich verliert er doch noch ein paar eigene Worte. Rammstein erwähnt er nicht. Die Band entfesselt dann mit brachialen Technobeats einen Mini-Rave, den ich auf diesem gediegenen Festival nicht erwartet hätte. Inzwischen ist die Nacht hereingebrochen und die Lightshow tut ihr Übriges, um das Publikum mitzureißen. Das Konzert ist zwar weit entfernt von den Pyroschauen, Effekthaschereien und Provokationen von Rammstein. Doch der synthetische, druckvolle Sound erinnert durchaus an die kommerziellen Anfänge der deutschen Schockrocker. Ich fotografiere nun mit dem Handy, weil meine Kamera bei dem Licht nicht mehr empfindlich genug ist. Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Als ich mich umdrehe, grinst mich ein hochgewachsener Glatzkopf mit Brille an und sagt: „Just watch the music, man!“. Aber vielleicht habe ich ihn bei der Lautstärke auch falsch verstanden. Ich grinse zurück.

Ich hole meine beiden neuen LPs am Merchandising-Stand ab. Dann schließe ich mich jenen Gästen an, die noch während des Konzertes zum Ausgang strömen. Das Publikum orientiert sich nach Norden, zu den Bussen und dem alten Elbtunnel und der Hamburger Innenstadt. Ich finde mein Fahrrad zwischen den zahllosen anderen Rädern vor dem Eingang zum Gelände und fahre in die andere Richtung, nach Wilhelmsburg.

Entspannt: Das Soundsystem I-Revolution unterhält auf dem Hof des Kulturzenrums Honigfabrik, einem der vielen Spielorte des Festivals "48h Wilhelmsburg". (Foto: Sebastian Grundke)
Entspannt: Das Soundsystem I-Revolution und Special-Guests von anderen Soundsystems spielen auf dem Hof des Kulturzenrums Honigfabrik, einer der vielen Locations des Festivals „48h Wilhelmsburg“, ihre Schallplatten.

Der zweite Festivaltag beginnt für mich auf einem ganz anderen Festival: Im Hof der Wilhelmsburger Honigfabrik spielt an diesem Samstagnachmittag laut Festival-Programm das Reggae-Soundsystem I-Revolution. Gemäß der Werbung auf Plakaten und im Netz für die Veranstaltung sind außerdem einige Special-Guests von anderen Soundsystems dabei. Am Eingang zum Hof hängen Hinweise: Zum Beispiel steht da, an wen man sich wenden kann, wenn sich jemand distanzlos verhält. Ein weiterer Aushang – der wohl nicht von der Festivalleitung stammt – prangert das Verhalten eines bürgernahen Polizisten im Stadtteil an, der als Nazi dargestellt wird. Auf dem „Elbjazz“-Festival hängt Werbung des Reiseveranstalters Tui. Hier gibt es Hinweise für den angemessenen Umgang miteinander und einen Aushang der linken Szene.

Wie das „Elbjazz“-Festival erwartet auch das Festival „48h Wilhelmsburg“ gut zwanzigtausend Gäste an diesem Wochenende. Das jedenfalls hat mir die Pressestelle auf Anfrage per Mail geschrieben. Der Auftritt des Soundsystems im Hof der Honigfrabrik ist nur einer von vielen Programmpunkten: Über verschiedene Locations verteilt treten bei „48h Wilhelmsburg“ alle möglichen Künstler und Musiker auf. Gemeinsam ist ihnen, dass sie alle aus Hamburg-Wilhelmsburg oder von der Veddel kommen. Das ist sogar die Voraussetzung für einen Auftritt. Wahrscheinlich würde deshalb kaum ein Act des diesjährigen „Elbjazz“-Festivals die Auswahl des Programmkomitees von „48h Wilhelmsburg“ überstehen. Einzige Ausnahme wäre wohl die Sängerin Derya Yilidirim, die laut eines WDR-Berichts auf der Veddel aufgewachsen ist.

Jüngeres Publikum: Besucher des Festivals "48h Wilhelmsburg" hören dem Soundsystem I-Revolution im Hof des Kulturzentrums Honigfabrik zu. (Foto: Sebastian Grundke)
Jüngeres Publikum: Besucher des Festivals „48h Wilhelmsburg“ hören dem Soundsystem I-Revolution und Gästen weiterer Soundsystems zu.

Es ist ähnlich warm wie am Vortag und auf dem Dancefloor ist noch Platz, auch wenn hier bereits nachmittags Leute tanzen. Zum Schutz vor der Sonne sind Planen aufgespannt. Am Rand der Tanzfläche wurden Stände aufgebaut, an denen preiswert Essen und Getränke verkauft werden. Einer der DJs zieht eine Hörspielplatte aus einer Plattenkiste. Sie knistert wie ein Lagerfeuer. So richtig passt die Spoken-Word-Passage – ist es ein Märchen? – zwar nicht in den Reggae-Mix, aber die Dreingabe ist lustig. Danach läuft eine Produktion mit Hamburg-Bezug, die mit dem Mikrophon vollmundig angekündigt wird.

Eintritt frei: Mitstreiter der Festival-Organisatoren von "48h Wilhlemsburg" verkaufen Supporter-Bändchen am Eingang zum Hof der Honigfabrik. (Foto: Sebastian Grundke)
Eintritt frei: Ein Mitstreiter und eine Mitstreiterin der Festival-Organisatoren von „48h Wilhlemsburg“ verkaufen Supporter-Bändchen.

Hier ist alles etwas lockerer als beim „Elbjazz“ und das Publikum ist jünger. Vor allem muss niemand Eintritt zahlen: Da sich das Festival nicht über Kartenverkäufe finanziert, werden stattdessen so genannte Supporter-Bändchen am Eingang angeboten. Für fünf Euro könnte ich hier Unterstützer eines Umsonst-Festivals werden. Ich hätte dann drei Bändchen am rechten Handgelenk, nämlich das Fotobändchen und das Pressebändchen vom „Elbjazz“ und dann noch das Supporterbändchen von „48h Wilhelmsburg“. Da ich kein Bargeld dabei habe, sondern nur ein schlechtes Gewissen, mache ich stattdessen beim Verlassen des Geländes ein Foto von der Bändchenverkäuferin und dem Bändchenverkäufer.

Bald radele ich weiter zum „Elbjazz“-Gelände. Die Sonne brennt vom Himmel und meine Haut ist bereits leicht gerötet. Zwischen der Honigfabrik und dem Gelände der Werft „Blohm und Voss“, auf dem der größte Teil des „Elbjazz“-Festivals stattfindet, liegen laut des Kartendienstes von Google 3,6 Kilometer Strecke. Mit dem Fahrrad ist die in etwas mehr als einer Viertelstunde zu schaffen, wenn man so gemächlich fährt wie ich.

Als ich wieder auf das „Elbjazz“-Gelände laufe, höre ich ein wunderbares Lied. Es klingt ganz neu und frisch. Auf dem Weg zur Hauptbühne wird mir klar, dass ich den Song kenne. Es ist Aretha Franklins „Day Dreaming“ von 1972. Vorgetragen wird er gerade von der Soul-Sängerin Adi Oasis, die sich mit einem gesättigt und leicht verkatert wirkenden Publikum abmüht. Auch die dritte Festivalregel scheint zu gelten: Spätestens am zweiten Tag sind alle durch.

Die „Elbjazz“-Pressestelle hat mir auf meine Frage zum Festival „48h Wilhelmsburg“ geantwortet: „Wettbewerb belebt das Geschäft […]“. Die Pressestelle von „48h Wilhelmsburg“ hat auf die Frage nach dem „Elbjazz“ geantwortet: „Wir sehen uns in keiner großen Konkurrenz […].“ Beide Festivals gibt es seit Jahren. Nur finden sie in diesem Jahr am selben Wochenende statt.

Auch auf dem „Elbjazz“-Festival sind einige Dinge umsonst: Am Kaffeestand muss ich den Kaffee vom Vortag nicht bezahlen, obwohl die EC-Kartenleser inzwischen wieder funktionieren und ich darauf bestehe. Auch sind die gedruckten Programmhefte für das Festival am Merchandising-Stand kostenlos. Außerdem kostet Wasser nichts: An einem Wasserhahn auf dem Gelände dürfen Gäste ihre Flaschen oder Becher einfach auffüllen.

Vor neun Uhr am Samstagabend bin ich zu Hause, dusche und rufe dann ein Taxi. Für mich fängt nach zwei Festivaltagen gegen zehn Uhr die Nachtschicht als DJ in einer Bar im Hamburger Ausgehviertel Sternschanze an. Im Verlauf des Abends spiele ich auch einen Song von einer der beiden Scheiben von Alogte Oho & The Sounds of Joy. Etwa 36 Kilo an Schallplatten, verteilt über fünf Taschen, habe ich mitgenommen. Das ist genug für die Nacht.

Während ich Platten aussuche und mische, bin ich in Gedanken bei den beiden Festivals. Mir erscheinen die Ansätze grundsätzlich widerstreitend, mit welchen in Hamburg Kultur betrieben wird. Aber ist das wirklich so? Was wird eigentlich aus dem „Blohm und Voss“-Gelände, falls die Werft irgendwann nicht mehr ist?

Später schaue ich im Netz nach: In der Honigfabrik wurde erst Margarine hergestellt, später wurden Industriefette produziert, noch später dann Honig fabriziert. Und seit 1979 wird das Gebäude für Kulturveranstaltungen genutzt. So geht es aus der Website des Kulturzentrums hervor. Produziert wird dort heutzutage außer Kultur nichts mehr. Vielleicht, denke ich, wird es auf dem Werftgelände irgendwann ganz ähnlich sein.

Text und Fotos:
Sebastian Grundke

Anmerkung:
Der Text wurde mit Unterstützung der Künstlichen Intelligenz DeepL Write redigiert.